Textatelier
BLOG vom: 15.02.2005

Tips für Fortgeschrittene: Wie vermehre ich mein Geld?

Autor: Walter Hess

Man erinnert sich an die biblische Hochzeit von Kanaa (Joh. 2, 2−11), wo einer bereits angetrunkenen bis betrunkenen Gesellschaft freundlicherweise noch zu zusätzlichem Wein verholfen worden ist, ein so genanntes Luxuswunder.

Ein ähnliches ökonomisches Luxuswunder erwarten selbstverständlich auch alle Anleger aus dem In- und Ausland, die im Schweisse ihres Angesichts ihr Geld verdient und zusammengespart haben oder sich die Pensionskasse auszahlen liessen und nun dafür sorgen müssen, dass das Ersparte nicht wie Schnee in der warmen Frühlingssonne wegschmilzt und sie allzu früh der Armengenössigkeit zugetrieben werden. Die ehrenwerten Schweizer Banken haben diesbezügliche Dienstleistungen bis zur Perfektion entwickelt, pflegen den persönlichen Kontakt mit ihren Anlegern, informieren diese ähnlich wie in Hochschulkursen regelmässig über Anlageperspektiven, nicht ohne gelegentlich auf ein Fondswunder aus dem eigenen Hause hinzuweisen. Sie machen dies wirklich gut. Ihr Erfolg beweist ihr Talent. Den letzten Entscheid treffen die Anleger immer selber, je nach Risikobereitschaft. Ein höheres Risiko bedeutet mehr Gewinn/Verlust... und umgekehrt.

Solch einer Veranstaltung, bescheiden als „Finanzanlass“ bezeichnet, habe ich am Dienstagabend auf Einladung der Neuen Aargauer Bank (NAB) in Aarau, einem erfolgreichen, im Kanton Aargau fixierten Finanzinstitut mit engem Kontakt zu den Eingeborenen in ihrem engeren Biotop, beigewohnt, zugegebenermassen nicht ohne Informationsgewinn. Ich wage hier einige Erkenntnisse weiterzugeben, was zweifellos erlaubt ist, zumal auch Pressevertreter anwesend waren, was den öffentlichen Charakter des Anlasses beweist.

Der Referent des Abends war Burkhard P. Varnholt, Leiter Investment Advisory und Financial Products bei der Credit Suisse (CS) in Zürich, mit der die NAB zwar in Verbindung steht; aber immerhin konnte das nicht globalisierte Aargauer Bankinstitut noch eine weitgehende Unabhängigkeit behalten (und es wirtschaftet dementsprechend erfolgreich). Während Varnholt 2004 als das „Jahr der Rohstoffmärkte“ (Gold, Erdöl) bezeichnete, was sich in der Schweiz wegen des Dollarzerfalls (dem Hinschied des römischen Denarius nicht unähnlich) allerdings kaum auswirkte, erwartet er nun einen eher steigenden Dollar. Und er setzte auf Aktien aus dem Telekom- und Generika-Sektor (billigere Nachahmerpräparate, also Arzneimittel, deren Markenschutz abgelaufen ist) sowie auf Unternehmen, die Baustoffe produzieren, ohne den Namen „Holcim“ zu unterdrücken, und auch die Luxusgüterbranche dürfte eine gute Zukunft haben.

Die US-zentrische Weltwirtschaft der 90er-Jahre habe durch den Aufstieg Chinas enorm Schlagseite bekommen, sagte der Referent in perfekter Hochsprache; ich nahm das mit Freude zur Kenntnis – der Abend war gerettet. Varnholt zeigte sich überwältigt von den chinesischen Bauleistungen, die er etwa am Beispiel von Shanghai und insbesondere an der dortigen Industriezone Pudong illustrierte. Ich kann das nachfühlen, zumal ich diese architektonische Wucht aus eigener Anschauung kenne und sie auch vom Fernsehturm in Pudong (Pearl Of The Orient Tower) aus bewundert habe; man spürt da noch etwas von der Feng-Shui-Harmonie, und es ist tatsächlich unmöglich, nicht überwältigt zu sein. Die rund 6000 Jahre alte Harmonielehre wirkt sich auch auf die Geschäftserfolge aus, die nach alter und moderner chinesischer Philosophie sehr erstrebenswert sind. Soweit ein kleiner persönlicher Einschub.

Varnholt warf die von der Nasa aus dem Weltall aufgenommene Erdaufnahme mit der gigantischen nächtlichen Lichtverschmutzung in den USA, Zentraleuropa und Teilen von Asien (Südostasien und insbesondere Japan) an die Kongresshaus-Wand. Er wollte es freundlicherweise den dunklen Zonen, insbesondere auch dem „schwarzen (dunklen) Afrika“ und China, nicht verwehren, dass in den nächsten Jahren auch dort Lichter aufgehen werden – mit dem entsprechenden Energieverbrauch. Dabei machte er auf das Fehlen von Raffineriekapazitäten aufmerksam, die ja auch zur Erdölversorgung gehören. Und der Bau einer Raffinerie dauert immerhin 7 Jahre, und zurzeit wird dieser Bau komplett vernachlässigt. Da kommt einiges an Verknappung auf uns zu.

Die vereinigten Anlegerinnen und Anleger machten sich ihren eigenen Reim auf solche Äusserungen. Sie werden wahrscheinlich sofort noch den Benzin- und Heizöltank auffüllen lassen ... und sich Gedanken über den Bau einer eigenen Erdölraffinerie machen. Varnholt verbreitete insgesamt eine positive Marktstimmung, ob zu Recht oder nicht, wird der Rest dieses Jahres 2005 weisen. Der verstorbene Börsenguru André Kostolany stellte zwar einmal fest, wer sage, er wisse, wies an der Börse und ähnlichen Märkten weitergehe, sei ein Scharlatan. Ja, dieser Mensch brauchte nicht mehr zu arbeiten. Aber Varnholt begründete alle seine Prophetien mit einem eindrücklichen Fach- und Erfahrungswissen; man war geneigt, ihm zu glauben, und im Rückblick erwiesen sich seine früheren Vorschauen als ziemlich zutreffend.

Besonders berührt hat mich an diesem NAB-Abend, der die Volksnähe des schweizerischen Bankwesens wunderbar bewiesen hat, eine Karikatur, die Heinz Thommen, Mitglied der NAB-Geschäftsleitung, an die Grossleinwand projizierte. Sie zeigte einen Bettler, der am Strassenrand vor einer Hausmauer sitzt, mit einem offenen Hut vor sich. Dabei hat er ein Plakat aufgestellt: „Bitte keine USD.“

Meines Erachtens können die Anleger sehr, sehr viel von diesem armen Mann lernen. An sich müsste er es mindestens zum Multimillionär gebracht haben.

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